× Ausgangssituation Vorgehen & Modell Standortplanung für Lager Bedeutung für die Praxis


Verbesserung der Lagerhaltung von Notfallreserven

Kombinierte Nutzung von Lagern in öffentlich-privater Zusammenarbeit





Welchen Zweck erfüllt die Studie und wie trägt sie zur Verbesserung der Notfallvorsorge bei?



Katastrophen treten immer häufiger auf, so dass die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln auch

in solchen Fällen gewährleistet sein muss. Im Rahmen von NOLAN schlagen wir daher eine öffentlich-private

Notfallkooperation für die Lebensmittelversorgung über sogenannte „Dual-Use“-Lager vor, die sowohl den

kommerziellen als auch den Notfallbedarf abdecken und somit eine effiziente Versorgungsstrategie aufzeigen.



Wie unterscheiden sich die Interessen von privaten und öffentlichen Akteuren

im Rahmen der Studie bei der Standortwahl?



Basierend auf unseren Resultaten sind die Verfügbarkeit und Qualifikation der Arbeitskräfte sowie die allgemeinen

Arbeitskosten die wichtigsten Kriterien für den Lebensmitteleinzelhandel bei der Standortwahl. Im Gegensatz

dazu fokussiert sich das Interesse der öffentlichen Akteure auf die Verfügbarkeit von Transportmitteln und die

Belastbarkeit und Qualität der Transportinfrastruktur, um Lebensmittel im Notfall effizient verteilen zu können.






Ausgangssituation

Auf der Grundlage von Gesprächen mit Vertretern von Behörden und Unternehmen der Lebensmittelversorgungsketten, stellen wir eine öffentlich-private Notfallkooperation (eng.:public-private emergency collaboration [PPEC]) für die Lebensmittelversorgung vor und untersuchen ihre Eignung für den Notfall im Hinblick auf die logistische Effizienz. Das Konzept sieht vor, dass private Partner in normalen Zeiten sogenannte „Dual-Use“-Lager für die reguläre Lebensmittelversorgung nutzen und im Falle einer Katastrophe mit öffentlichen Partnern zusammenarbeiten. Das Unternehmen betreibt die Lager kommerziell und lagert gleichzeitig spezielle Vorräte für die Notfallversorgung ein. Als Gegenleistung erhält das Unternehmen eine Entschädigung für den Lageraufwand und die notwendigen Lagerprozesse der Notfallversorgung. Die Akteure vereinbaren Verfahren für die Zusammenarbeit in „Friedenszeiten“ und die öffentlichen Behörden können die Bestände jederzeit überwachen. Im Notfall wird dann die Reaktion über etablierte Kanäle und Infrastrukturen der Behörden koordiniert. Im Idealfall würden die Partner gemeinsam über neue Standorte und deren Gestaltung entscheiden, um ihre individuellen Bedürfnisse bestmöglich zu befriedigen („Greenfield-Planung“). Die privaten Unternehmen der Lebensmittelversorgung haben jedoch bereits hocheffiziente Netze von Lagerstandorten und Infrastrukturen aufgebaut. Daher prüfen wir auch gezielt die Nutzung bestehender Lager für die Notfallversorgung mit Lebensmitteln, was als „Brownfield-Planung“ bezeichnet wird.



Vorgehen & Modell

In unserer Studie verfolgen wir einen dreiteiligen Bewertungsansatz. Er umfasst zunächst die Einbeziehung von Praxisexperten in verschiedenen Phasen. Zweitens bewerten wir die Attraktivität von Regionen im Untersuchungsgebiet hinsichtlich ihrer Eignung für gemeinsame Lagerstandorte anhand einer Nutzwertanalyse und spezifischer Standortkriterien. Schließlich entwickeln wir Standortzuweisungsmodelle, die optimale Netzwerke von gemeinsam genutzten Lagerstandorten bestimmen.

Wir evaluieren das vorgeschlagene Modell einer PPEC anhand einer Fallstudie in Deutschland im Bundesland Baden-Württemberg (BW). Eine öffentliche Behörde und private Unternehmen entscheiden gemeinsam über Standorte für Lager mit doppeltem Verwendungszweck. Bei der öffentlichen Behörde handelt es sich um das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (das zuständige Landesministerium), das für die Notfallversorgung mit Lebensmitteln in Krisenzeiten zuständig ist. Bei den Unternehmen handelt es sich um Lebensmitteleinzelhändler, die über Lager in ihren Logistiknetzen verfügen, welche sowohl von den Unternehmen als auch von behördlicher Seite genutzt werden sollen. Die Standorte in unserer Fallstudie sind Gemeinden, d.h. LAU2-Regionen, wie sie von der Europäischen Union definiert sind (EU, 2020). Um die Regionen im Untersuchungsgebiet zu bewerten, verwenden wir unseren dreiteiligen Bewertungsansatz, um geeignete Kriterien, Messgrößen und Gewichtungen zu ermitteln.

Bewertung der Attraktivität von Regionen

Die Attraktivität einer Region wird mit Hilfe einer Nutzwertanalyse bestimmt, bei der relevante Kriterien auf der Grundlage einer Literaturrecherche ermittelt und mit Hilfe von Experten nach ihrer Bedeutung gewichtet werden. Der Vergleich der Ergebnisse erfordert die Umwandlung und Standardisierung aller Metriken auf denselben Wertebereich, um eine einheitliche Punktzahl zu erhalten. Außerdem wird zwischen Nutzenkriterien und Kostenkriterien unterschieden. In diesem Zusammenhang sind hohe Werte für die Nutzenkriterien erwünscht, während niedrige Werte für die Kostenkriterien bevorzugt werden. Abschließend wird die endgültige regionale Attraktivität aus der (Kriterien-)gewichteten Summe der normierten Metriken berechnet. Mit Hilfe ausgewählter Kriterien und Gewichtungen (siehe interaktive Abbildung 1), werden die Regionen im Untersuchungsgebiet bewertet. Demnach sind die Verfügbarkeit und Qualifikation der Arbeitskräfte sowie die allgemeinen Arbeitskosten die wichtigsten Kriterien für den Lebensmitteleinzelhandel. Im Gegensatz dazu sind die Verfügbarkeit von Transportmitteln und die Belastbarkeit und Qualität der Transportinfrastruktur die wichtigsten Kriterien für Notlager.

Die detaillierte Analyse zeigt, dass die Regionen im Zentrum von BW die höchste Punktzahl für den kommerziellen Wert erreichen. Gut verfügbare Arbeitskräfte und die IT-Infrastruktur sind die Hauptfaktoren für diese Punktzahl. Im Gegensatz dazu besteht die Notfall-Punktzahl aus gemischten Clustern, die vor allem durch die IT-Infrastruktur und die Entfernung zu Großstädten bestimmt werden. In der interaktiven Abbildung 2 sind die kombinierten Werte für die Gemeinden in BW hervorgehoben und zeigen Regionen, die für beide Akteure in Frage kommen. Folglich sind mehrere Regionen im Nordwesten von BW für beide Akteure sehr attraktiv, während Regionen im Südwesten vergleichsweise niedrige Werte aufweisen.


Diese Attraktivitätswerte werden nun als Eingangsdaten für das Optimierungsmodell verwendet, ebenso wie die generierten Kostendaten zu Transport, Lagerhaltung und Entfernung. Auf dieser Grundlage berücksichtigt das Optimierungsmodell mehrere Ziele, um die Beziehung zwischen Attraktivität und Logistikkosten sowie Attraktivität und sozialen Kosten zu berücksichtigen, die sowohl Logistik- als auch Leidenskosten umfassen.
Leidenskosten entstehen, wenn Menschen nicht angemessen versorgt werden können, z. B. mit Nahrungsmitteln, medizinischen Gütern oder Unterkünften, und daher zunehmend leiden, je länger sie auf dieses Gut verzichten müssen. Leidenskosten werden zumeist als Exponentialfunktion betrachtet, was bedeutet, dass das Leiden im zeitlichen Verlauf betrachtet zunächst nur leicht ansteigt, je länger eine Unterversorgung vorliegt, das Leiden umso stärker ansteigt. Die Anwendung von Leidenskosten wird in der Literatur breit diskutiert und kann auf verschiedene Weise definiert werden (siehe z. B. Shao et al., 20201 für eine aktuelle Übersicht).



Standortplanung für Lager

Die Standortmodelle zielen darauf ab, an den analysierten Punkten Lager zu betreiben und so die Belieferung aller Nachfragepunkte zu ermöglichen. Die Lösung enthält also:
  1. Standorte, an denen Lager eröffnet werden,
  2. Zuordnung von Nachfragepunkten zu Lagern und
  3. Optimale Anzahl der zu errichtenden Lager.

Die Abbildungen 3 und 4 zeigen die aus der Optimierung resultierenden Standorte für öffentliche (Notfall) und private (kommerzielle) Akteure für zwei verschiedene Szenarien unter Berücksichtigung eines bestimmten Marktanteils des kommerziellen Akteurs.

Es werden zwei mögliche Ansätze unterschieden, da die Partner idealerweise gemeinsam über Standorte und deren Gestaltung entscheiden sollten, um ihren individuellen Bedürfnissen am besten gerecht zu werden (sogenannte Planung auf der grünen Wiese, auch „Greenfield-Planung“). Allerdings haben private Lebensmittelunternehmen in Industrieländern bereits hocheffiziente Netzwerke von Lagerstandorten und Infrastrukturen aufgebaut (Zentes et al., 2017)2 , so dass der Aufbau einer komplett neuen Infrastruktur extrem teuer und womöglich nicht notwendig ist. Daher wird zusätzlich die Nutzung bestehender Lagerhäuser für die Nahrungsmittelnotversorgung, die sogenannte Brownfield-Planung, in Betracht gezogen.

In Bezug auf den Marktanteil wird angenommen, dass private Akteure (in diesem Fall Lebensmitteleinzelhändler) nur ihren Marktanteil, z. B. 10 % der Bevölkerung, versorgen. Ein Marktanteil von 10% wird dabei als repräsentativer Marktanteil eines großen Lebensmitteleinzelhändlers angenommen. Demgegenüber steht die Annahme eines Lebensmittelhändlers mit einem hypothetischen Marktanteil von 100 %, der eine vollständige Abdeckung der Nachfrage durch einen Monopolisten simuliert.

Die über den Abbildungen eingeblendeten Tabellen zeigen die Optimierungsergebnisse im Detail und geben Auskunft über die Anzahl der zu errichtenden Lager und die durchschnittliche Attraktivität der Standorte.

A
BW Kommerziell (privat) Notfall (öffentlich)
Neue Standorte (Greenfield)
10% Marktanteil 100% Marktanteil Behörde
Anzahl Lager 4 7 26
davon große 0 6 3
davon kleine 4 1 23
Durchschnittliche Attraktivität 64,85% 64,87% 61,24%
B
BW Notfall (öffentlich)
Bestehende Standorte (Brownfield))
Standorte von = Ein neuer
+ Standorte von...
Anzahl Lager 6 8 10 7 12 19
davon große 6 7 7 7 6 4
davon kleine 0 1 3 0 6 15
Durchschnittliche Attraktivität 53,83% 56,06% 57,39% 55,79% 50,19% 52,22%

Der deutlichste Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Akteuren zeigt sich bei der Anzahl der Standorte, unabhängig vom angenommenen Marktanteil des privaten Akteurs. Die größere Anzahl von Lagern, die von den Akteuren der Nothilfe errichtet werden, ist auf die Kosten des Leids zurückzuführen, die kürzere Entfernungen begünstigen und somit mehr Lager erfordern. Dies spiegelt sich auch in den niedrigeren Transportkosten für den öffentlichen Sektor wider, was zu deutlich geringeren Leidenskosten führt. Für kommerzielle Akteure erhöht sich die Attraktivität des eigenen Gebiets nicht unbedingt durch zusätzliche Lagerstandorte, da kommerzielle Akteure die zusätzlichen Kosten deutlich stärker berücksichtigen. Infolgedessen unterscheiden sich die gewählten Standorte für die beiden einzelnen Akteure erheblich.

Bei einer gemeinsamen Brownfield-Planung für den Notfall, können die Partner über bestehende Standorte effektiv zusammenarbeiten und strategisch frei gewählte Standorte hinzufügen. Die Ergebnisse dieses Ansatzes zeigen, dass die Integration mehrerer Akteure, obwohl sie wahrscheinlich komplexer ist, besser funktioniert als die Integration einzelner oder weniger Partner. Die Hinzufügung eines neuen Lagers verbessert die Ergebnisse der Notfallplanung nochmals und erreicht sogar die Ergebnisse der Greenfield-Planung.




Bedeutung für die Praxis

Die Studie zeigt, dass die Einbindung mehrerer Lebensmitteleinzelhändler und ihrer bestehenden Lager gute Ergebnisse für die Notfallvorsorge liefert. Im Allgemeinen verbessert die Kooperation mehrerer Partner die Ergebnisse aus Kostensicht, macht die Zusammenarbeit jedoch komplexer. Die Praktiker, mit denen wir gesprochen haben, halten diese Komplexität jedoch einstimmig für beherrschbar. Gleichzeitig bringt die Integration mehrerer Partner erhebliche Vorteile mit sich, insbesondere für die Behörden: Sie vermeidet Lock-in-Effekte mit einzelnen Partnern, gewährleistet weitgehende Neutralität gegenüber Marktakteuren und erlaubt generell eine größere Auswahl an Optionen. Mehr potenzielle Standorte ermöglichen den öffentlichen Akteuren über eine größere Anzahl gleichmäßig verteilter Standorte zu verfügen. Darüber hinaus sehen private Akteure potenzielle Beschränkungen des verfügbaren Lagerraums an bestehenden Standorten und könnten sich daher leichter an einer solchen Zusammenarbeit beteiligen. Um eine effiziente Lösung zu finden, schlagen wir als strategische Option vor, einzelne Einrichtungen hinzuzufügen, die von beiden Partnern im Voraus gemeinsam ausgewählt werden. Die Ergebnisse dieser Option sind deutlich besser und bieten den Behörden eine wertvolle Möglichkeit, ihr Notvorratsnetz in Zukunft proaktiv zu entwickeln. Darüber hinaus kann die Bewertung von Regionen für beide Akteure dazu beitragen, die Attraktivität für private Unternehmen an Standorten zu erhöhen, die für die öffentliche Notfallvorsorge als wertvoll erachtet werden.
Alles in allem liefert die Studie ermutigende Ergebnisse für die Weiterführung einer Partnerschaft öffentlicher und privater Akteure im Bereich der Lebensmittellagerung, wobei bestehende Standorte mehrerer kommerzieller Lebensmitteleinzelhändler genutzt und im Laufe der Zeit strategisch einzelne neue Einrichtungen hinzugefügt werden. Praktiker bewerten das Konzept und die Ergebnisse einhellig als plausibel, verständlich und lohnenswert für weitere Untersuchungen.




1Shao, J., Wang, X., Liang, C. und Holguín-Veras, J. (2020). Research Progress on Deprivation Costs in Humanitarian Logistics. International Journal of Disaster Risk Reduction, 42, Art. 101343.

2Zentes, J., Morschett, D. and Schramm-Klein, H. (2017). Strategic Retail Management. Springer Fachmedien Wiesbaden. Wiesbaden.

Der Inhalt dieser Seite basiert auf der folgenden Studie:
Löffel, M., Diehlmann, F., Zienau, A., Lüttenberg, M. Wiens, M., Wagner, S. und Schultmann, F. (2022). Improving Emergency Preparedness Through Public-Private Collaboration - Dual-use Warehouses for Food Supply. International Journal of Logistics Research and Applications (eingereicht am 24.06.2022)